Fast 60 Jahre lang besuchten die Leipzigerinnen und Leipziger das “Kino der Jugend” (zuvor: “Fortuna-Lichtspiele“) in der Eisenbahnstraße 162, bevor 1987 der Betrieb eingestellt werden musste. Im großen Saal, der nach dem Umbau 1957 noch über 500 Plätze fasste, fanden nicht nur Kinoveranstaltungen, Messen, große und kleine Feiern statt, sondern auch viele beliebte Konzerte. Im Gästebuch der 80er Jahre finden sich so prominente Namen wie Renft, City oder Silly. Und noch immer verbinden viele Nachbarn Erinnerungen mit der imposanten Industriehalle, deren Art-Deco-Frontfassade das 1928 umgenutzte Gebäude zu einem herausragenden Industriedenkmal im Leipziger Osten macht. Doch obwohl im städtischen Eigentum stehend, verfällt das ehemalige Kino seit vielen Jahren. Wasser dringt durch das offene Dach, der Keller ist bereits weitgehend eingestürzt. Ohne schnelle Hilfe könnte das Gebäude den nächsten Winter nicht überstehen. Dieser Meinung sind zumindest die Beteiligten der Interessengemeinschaft (IG) FORTUNA | Kino der Jugend, die sich im Spätsommer 2015 zusammengefunden haben, um das Kino zu retten.
“In der IG engagieren sich derzeit zwischen 30 und 40 Personen, Vertreter/-innen der ortsansässigen Bürgervereine, Kulturschaffende und Nachbarn. Unser Ziel ist nicht nur der Erhalt des Gebäudes, wir wollen das ehemalige Kino auch als den Ort wiederbeleben, der er in der Erinnerung vieler Leipziger/-innen noch ist, als einen multifunktionalen Kultursaal für Kinoaufführungen, Konzerte, Theater und Tanzveranstaltungen, aber auch als Versammlungsstätte und Ort des interkulturellen Austausches, mit begleitender Gastronomie im Innen- und Außenbereich.” Daniel Schade, Sprecher der IG von der Initiative Ost-Passage Theater, ist sich sicher, dass dies gelingen kann, wenn alle an einem Strang ziehen: Verwaltung, Politik und Bürgerschaft. “Auf das Verwaltungshandeln und die Interessenlagen im Stadtrat haben wir direkt wenig Einfluss, aber die IG bündelt das bürgerschaftliche Engagement und wird auch den öffentlichen Druck gegebenenfalls erhöhen.”
So hat die IG in dieser Woche eine stadtweite Kampagne gestartet und ruft alle Leipziger/-innen, die das alte Kino noch aus Betriebszeiten kennen, auf, im Gedächtnis, auf Dachböden, in Kellern und Schubladen nach Erinnerungen zu stöbern, seien es Tickets, Plakate, Fotos, Geschichten oder Anekdoten. Mit den so aufgefundenen Erinnerungen soll eine Ausstellung entstehen, die zum Bülowviertel-Straßenfest und zum Tag des offenen Denkmals im September präsentiert wird. Janine Göhring vom Bülowviertel e.V., die die Ausstellung für die IG organisiert, meint dazu aufmunternd: “Melden Sie sich einfach bei uns! Jede noch so kleine Erinnerung hilft, das Kino der Jugend im kollektiven Gedächtnis der Stadt wiederzubeleben. Wir kommen auch vorbei und führen ein kleines Interview mit Ihnen.”
Währenddessen sind die Kinoretter/-innen auch im engen Austausch mit Stadtverwaltung und Kommunalpolitik. Es befindet sich derzeit ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Verfahren, um zu prüfen, ob im laufenden Haushalt Gelder für eine Notbedachung des Gebäudes umgewidmet werden können. Hier geht es erst einmal darum, den weiteren Verfall zu stoppen, um spätere Sanierungskosten nicht explodieren zu lassen. Zusammen mit dem Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung (ASW) möchte die IG außerdem sicherstellen, dass die Immobilie bei einer geplanten Veräußerung nicht zum Höchstgebot, sondern in einem Konzeptverfahren vergeben wird. “Das hat den großen Vorteil, dass die Stadt sich einen Einfluss auf die zukünftige Nutzung bewahrt. Und diese sollte aus unserer Perspektive die Wiederbelebung des Kinosaals als Kulturraum zum Ziel haben.”, so Roman Grabolle vom Haus- und WagenRat e.V., der die IG berät. “Im Leipziger Osten fehlt einfach ein großer Kultursaal.” Grabolle verweist in diesem Zusammenhang auch auf das Integrierte Stadtentwicklungskonzept (SEKo) von 2013. Außerdem solle die Vergabe wie beim Alten Felsenkeller in Plagwitz im Erbbaurecht erfolgen, um Stadtentwicklung auch in vielen Jahren noch kommunalpolitisch gestalten zu können. “Beim Erbbaurecht bleibt die Stadt Eigentümerin von Grund und Boden und kann die Flächennutzung aktuell und nach Ablauf des Vertrages wieder steuern. Eine Stadtentwicklung, die dem Marktgeschehen hinterher läuft, ist am Ende einfach zu teuer.”
An einem Konzeptvergabeverfahren im Erbbaurecht wird sich die IG FORTUNA | Kino der Jugend in jedem Fall beteiligen, bestätigt Daniel Schade. “Wir sind uns der hohen Erwartungen, nicht nur im Viertel, sondern auch von Seiten der Politik und Verwaltung bewusst. Wir wollen ein stimmiges Konzept für einen Kulturbetrieb erarbeiten, an dem sich die anderen Nutzungsideen, ob nun verwaltungstechnischer oder privatwirtschaftlicher Art, messen lassen.” Deswegen diskutiert man in der IG aktuell intensiv verschiedene Betreibermodelle und Rechtsformen und berät sich mit etablierten Kulturbetrieben wie etwa dem UT Connewitz oder der Feinkost e.G. Die Konzeptdebatte innerhalb der Gruppe kreist dabei immer wieder um die Frage, wie sich die Anwohnerschaft und andere soziokulturell etablierte Akteure des Leipziger Ostens in den Kulturbetrieb des Hauses einbinden ließen. “Wir wollen auf jeden Fall ein offenes und auch ein transparentes Haus, von den Nachbarn und für die Nachbarn. Wenn uns das gelingt, hätte das durchaus auch Modellcharakter.” Aber Schade ist auch Realist: “Die ehrenamtlichen Reserven sind bei allen begrenzt. Es ist eine große Herausforderung, einen Kulturbetrieb gemeinsam, solidarisch und demokratisch zu organisieren. Ohne breite Unterstützung wird das nicht möglich sein.” Um diese besser zu bündeln, ist derzeit erst einmal ein Verein in Gründung. Ansonsten lädt die IG auch weiterhin alle Interessierten zu ihren offenen Treffen ein, die derzeit jeden zweiten Donnerstagabend im Pöge-Haus (Hedwigstraße 20) stattfinden.
Schicken Sie Ihre Erinnerungen an das “Kino der Jugend” an:
erinnerungen@ig-fortuna.de
IG FORTUNA | Kino der Jugend
Hildegardstraße 49
04315 Leipzig-Volkmarsdorf
Weitere Termine und Informationen finden Sie auf unserer Facebook-Seite.
… und hier noch die Pressemitteilung als PDF.
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